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OF PEARS AND APPLES

2020

Glowing is the gaze of the cow looking out the window. Why is Kim loading the rifle? It was only the pomegranate in his pointy shoes, clattering after the Olifant. The rustling comes from the birds of paradise, leglessly heading for the sleeping glass. Elsewhere, good luck leads the electric blanket tango to human themes like ...

Einführung in die Ausstellung von Bettina Staub, Kunsthistorikerin und Präsidentin Visarte Zentralschweiz im Rahmen der Vernissage am 21. August 2020:

 

"Liebe Kunstinteressierte

 

Vielleicht haben Sie schon einen Rundgang durch die Ausstellung „Of Pears and Apples“ gemacht und sind erstaunt, wie vielgestaltig Barbara Hennig Marques’ künstlerisches Schaffen ist. Wir begegnen unterschiedlichsten Medien und Techniken, lassen unseren Blick schweifen von kleinen Objekten über farbige Papierschnitte bis zu grossformatigen Zeichnungen und bleiben hängen bei der Videoarbeit im Nebenraum.

 

Den verspielten Titel der Ausstellung, „Of Pears and Apples“, verwendet Barbara Hennig augenzwinkernd im Sinne von „Kraut und Rüben“. Sie verfolgt nicht eine künstlerische Handschrift, sondern viele nebeneinander. Triebkraft dahinter ist ihre Neugier, eine Neugier, die unvoreingenommen und erfrischend alles erfassen kann, seien es nun künstlerische Techniken, die sie sich aneignet, oder Themen unserer Gegenwart, die sie mit Sensibilität und Anteilnahme aufnimmt.

 

Der Titel „Of Pears and Apples“ weist jedoch auch auf inhaltliche Ebenen, die wir im Werk der Künstlerin wiederfinden. Der Apfel hat in der europäischen Kulturgeschichte so viele Bedeutungen, dass es ganze Studien und Bücher darüber gibt. Erinnert sei hier z. B. an das Urteil des Paris aus der griechischen Mythologie, an den Sündenfall mit Eva, die Adam den Apfel reicht, an die Sinnlichkeit von Stilleben mit Äpfeln und natürlich an weibliche Brüste. Die Birne ist ikonografisch nicht ganz so besetzt wie der Apfel, doch verweist sie in ihrer Form auf die Gebärmutter. Die beiden Früchte stehen also für Weiblichkeit, Fruchtbarkeit, Sinnlichkeit und Erotik – Themen, die eine eigentliche Konstante in Barbara Hennigs Schaffen sind.

 

Inspiration schöpft die Künstlerin auch aus ihrem „früheren Leben“ - wie sie es mit einer Spur Selbstironie nennt. Sie meint damit eine lange Ausbildungs- und Berufsphase, die der Kunstgeschichte, der Geschichte des Mittelalters und der Denkmalpflege gewidmet war. Kein Wunder also, dass ihr die Kunstgeschichte bei ihrer Arbeit immer mal wieder über die Schulter schaut. Sie begegnet den weit zurückreichenden Traditionslinien und dem Ernst der Wissenschaft mit frivoler Freiheit und verknüpft sie unbeschwert mit weiblicher Sinnlichkeit.

 

Am besten, wir werfen einen Blick auf ein paar Werke und Werkgruppen, in denen die Dualität von Geschichte und Weiblichkeit zum Ausdruck kommt:

Die dreidimensionale Arbeit „Give It To Me“ (2020) besteht aus Elementen eines barocken Altars und aus Damenstrümpfen, die gestopft unter den Altarteilen hervorquellen oder ungefüllt als Drapierung dienen. Über Jahrhunderte hat die Kirche weibliche Sinnlichkeit und Erotik unterdrückt und sie gleichzeitig in sublimierter Form zugelassen in der Darstellung von weiblichen Heiligen und in der kostbaren Ausstattung von Kirchenräumen. Barbara Hennigs Werk zeigt einerseits das unerbittliche Gewicht von Tradition und Moralvorstellungen. Andererseits bahnt sich die Entfaltung der weiblichen Sinnlichkeit an wie ein Erdbeben, das in Kürze den Altar zum Einsturz bringen wird.

 

Die Papierschnitte der Werkgruppe „women love women“ sind dem weiblichen erotischen Vergnügen gewidmet. Die Künstlerin setzt die unterschiedlichen Papierqualitäten - faserige, glatte, rauhe Blätter - sehr gekonnt ein. Sie steigert die Intensität des Liebesspiels durch Wahl und Bearbeitung des Papiers: feine Härchen stellen sich an den Aussenlinien der Silhouetten auf, scharf geschnittene Linien betonen ihre Geschmeidigkeit. Auch hier gibt es eine Referenz auf die Kunstgeschichte: Henri Matisse schuf in seiner letzten Lebensphase seine sog. „gouaches découpées“, Schnitte aus mit farbiger Gouache bemaltem Papier. Seine blauen Frauenakte in dieser Technik spiegeln - anders wie bei Barbara Hennig – den traditionellen männlichen Blick auf den weiblichen Körper.

 

Barbara Hennig ist eine Bücherliebhaberin. Ihre Bibliothek bildet ihre unerschöpfliche Neugier ab, aber auch ihren sinnlichen Zugang zum gedruckten Buch: zu Papieren, Umschlägen, Einbänden, Prägungen, Farben. Viele ihrer grossformatigen Pinselzeichnungen sind inspiriert von einer berühmten Vorlagensammlung, den „Ornamentalen Vorlageblättern des 15. – 19. Jahrhunderts“ von Rudolf Berliner und Gerhart Egger (1926). Die Künstlerin taucht den Pinsel in Tusche oder Farbe, führt ihn ohne Vorzeichnung über die Papierflächen und setzt so die Motive und Ornamente aus den Vorlageblättern um. Bei der Entstehung einer Zeichnung spielen Spontaneität und Zufall mit. Barbara Hennig erreicht mit dieser künstlerischen Strategie eine erfrischende Neuinterpretation der alten Motive. So findet die Kuh zu ihrem beschwipst-verliebten Augenaufschlag oder der Elefant zum Drachenkragen. Als gestalterisches Element setzt die Künstlerin in manchen Zeichnungen Punkte ein. Es sind Ruhepunkte im Linienfluss, die sich immer dann bilden, wenn sie mit dem Pinsel innehält und das Papier die Farbe aufsaugt.

 

Die grossformatigen Zeichnungen zeichnen die freie Bewegung der Künstlerin auf. Sie umkreist den Papierbogen, geht vor und zurück, streckt den Arm aus und führt ihn schneller oder langsamer. Die Zeichnung ist somit immer auch Notation einer Choreografie. Barbara Hennigs Begeisterung für Bewegung und Tanz findet Ausdruck in vielen Arbeiten – Videos und Performances -, die sie in Zusammenarbeit mit professionellen Tänzerinnen und Tänzern entwickelt und umsetzt.

 

Ihre im letzten Jahr entstandene Videoarbeit „Louis and Zach“, die Sie im Nebenraum sehen können, thematisiert die gleichgeschlechtliche Liebe und lässt uns Betrachtende mit der Frage zurück, warum Intimität und Zärtlichkeit zwischen Männern gesellschaftlich immer noch nicht angekommen sind und im Verborgenen stattfinden. Barbara Hennig hat die Performance in enger Zusammenarbeit mit den Tänzern, beides ehemalige Mitglieder des Ensembles Tanz Luzerner Theater, erarbeitet. Louis und Zach improvisieren nackt mit einer weissen, fliessenden Stoffbahn. Als einzige gesetzte „Spielregel“ gilt, dass sie permanent in Körperkontakt oder zumindest durch den seidenartigen Stoff verbunden sind. Diese strenge Reduktion führt dazu, dass unsere Augen die feinsten Nuancen in der Liebesbeziehung wahrnehmen können: Annäherung und Entfremdung, Leidenschaft und Gelassenheit, das labile Gleichgewicht zwischen Freiheit und Bindung. Dass wir so nahekommen dürfen und uns wiedererkennen in unseren eigenen Paarbeziehungen, macht der besondere filmische Blick auf die Performer möglich. Er ist nie voyeuristisch, sondern zärtlich-anteilnehmend und basiert auf einem tiefen Vertrauensverhältnis zwischen der Künstlerin und den Tänzern.

 

Barbara Hennigs Erforschung verschiedenster künstlerischer Medien und ihre Auseinandersetzung mit dem Körper, insbesondere dem weiblichen Körper, steht in der Tradition der feministischen Avantgarde. In den 1970er Jahren wurde der Feminismus zur Triebfeder eines neuen Interesses am Bild des weiblichen Körpers und an weiblicher Lust. So schrieb z. B. die amerikanische Dichterin und Theoretikerin Adrienne Riche (1929 – 2012): „Dass wir Frauen wieder Besitz ergreifen von unseren Körpern, wird weitaus grössere und wesentliche Veränderungen der menschlichen Gesellschaft bewirken [...]. Wir müssen uns eine Welt vorstellen, in der jede Frau die Person ist, die über ihren eigenen Körper bestimmt.“

 

Für Barbara Hennig ist die Dringlichkeit dieser Forderung nach wie vor ganz aktuell und gilt für beide, für alle Geschlechter. Wenn sie mit Tänzer*innen künstlerische Arbeiten entwickelt, ist die Selbstbestimmung über den Körper oberstes Gebot. Nur so bleiben die Performer*innen ganz bei sich selbst und können daraus Bewegungen entstehen lassen, die uns unsere eigene Körperlichkeit und Sinnlichkeit wieder näher bringen.

 

So freue ich mich nun sehr auf die Performance von Olivia Lecomte und wünsche Ihnen/euch einen anregenden Abend im B74 mit viel Kunstgenuss."

Eine Stadt feiert Kunst_1_LZ29.8.2020 Ko
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